Zwischen Bedrohung und Selbstbehauptung

Pro Nordhessen e.V. diskutiert Sicherheitsperspektiven inmitten einer neuen Weltordnung

Nordhessen liegt in der Mitte Deutschlands und Europas und somit weit weg von strittigen Grenzverläufen oder kriegerischen Auseinandersetzungen. Dennoch kommt es zu Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen, bei denen Unternehmen und öffentliche Einrichtungen attackiert werden, um die Versorgungssicherheit zu beeinträchtigen und Ängste zu schüren.

Unter dem Titel „Nordhessen im Wandel: Sicherheit und Perspektiven in einer neuen Weltordnung“ widmete sich das jährliche Herbstevent von Pro Nordhessen e.V. am 28. Oktober 2025 diesem Thema und lud ins Foyer der EAM-Zentrale nach Kassel ein. Rund 120 Mitglieder und Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur – darunter auch Vertreter der Kirchen, der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie – nutzten das Programm, um sich zu informieren, zu orientieren und in den Dialog zu treten.

Prof. Dr. Frank Lehmann, Vorstandsvorsitzender von Pro Nordhessen e.V., übernahm die Moderation des Abends, begrüßte und leitete das Thema mit dem Verweis auf das Weltgeschehen und die besondere Stellung Kassels ein. Als starker Rüstungsstandort wurde es im Zweiten Weltkrieg Ziel der alliierten Streitkräfte und fast völlig zerstört.

Wie groß das Gefährdungspotential ist, schilderte Olaf Kieser, Vorsitzender der EAM-Geschäftsführung, in seinem Grußwort. Zu den vielfältigen, mitunter herausfordernden Aufgaben bei der Umsetzung der Energiewende kommen große Investitionen in Sicherheitssysteme hinzu, denn Hackerangriffe stellen täglich eine Gefahr für die Infrastruktur dar.

Wachrüttelnde Blicke auf Zukunftsszenarien

Jürgen Fischer, Chefredakteur ES&T Europäische Sicherheit & Technik, griff in seinem Impulsreferat „Europa zwischen Bedrohung und Selbstbehauptung – eine unbequeme Wahrheit“ die Gefährdung durch Cyberangriffe auf und ließ durch einen inszenierten Stromausfall das Foyer dunkel werden. Das Überraschungsmoment fruchtete, wurde von ihm aber durch weitere Beispiele ergänzt, die zeigen, was alles passiert, wenn die Stromversorgung aussetzt. Die Welt steht still, nichts geht mehr, Kollaps und Chaos führen zu existenziellen Nöten. 

Er stellte den Zuhörern die Fragen, wie sicher sie sich fühlen und wie gut sie vorbereitet wären? Anschaulich zeigte er auch die Interessen Russlands in Europa und Chinas im Indo-Pazifik auf, die aufgrund wirtschaftlicher und strategischer Ausmaße zu wachsenden geopolitischen Spannungen und Bedrohungen führen. Wer Zeit verliert, verliert Sicherheit. Sein Appell: Wir müssen die Wehrfähigkeit und die eigene Überlebensfähigkeit stärken sowie Frieden und Freiheit aktiv gestalten.

Spagat zwischen Verteidigung und Friedensfähigkeit

Dies führte in dem sich anschließenden Podiumsgespräch der ehemalige Staatsminister und langjährige Bundestagsabgeordnete Michael Roth weiter aus. Die neue Rolle, die Deutschland hierbei spiele, stellt für viele eine schwere Zumutung dar und führt zur Frontenbildung. Er selbst war vom Konzept „Frieden schaffen ohne Waffen“ überzeugt, tritt aber nun für Bewaffnung ein, denn Angegriffenen muss man beistehen, wenn nicht am Ende die Diktatur siegen soll. Für ihn braucht es einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft und eine klare, offene Kommunikation, die sagt, was Sache ist. Schweden und Finnland sind für ihn beispielhafte Partnerstaaten.

Als Vertreter der Wirtschaft sprach Dr. Vark Helfritz, Geschäftsführer Airbus Helicopters Technik GmbH, von einer enormen Dynamik im Markt, gerade im militärischen Bereich, aber auch von der politischen Unentschlossenheit. Lange Genehmigungsverfahren bremsen notwendige Fortschritte bei Entwicklung und Fertigung aus. Demungeachtet plädierte er für einen gesunden Mittelweg, fern von Extremen, und präferierte das finnische Modell von Sicherheitsbündnis und Zivilschutz.

Für ein multiperspektivisches Denken und ausbalanciertes Handeln setzte sich auch die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Prof. Dr. Beate Hofmann, ein. Für sie ist Sicherheit nicht ausschließlich ein militärisches Moment, sondern auch ein gesellschaftliches, soziales und politisches. Investitionen in Bildung, Gesundheit und Gerechtigkeit beugen künftigen Kriegen vor. Auch stellen sozialer Zusammenhalt, nachbarschaftliche Unterstützung und das Wissen ums eigene Umfeld wichtige Aspekte beim Zivilschutz dar. Die Suche nach Friedfertigkeit der vergangenen Jahrzehnte war nicht falsch, das Gegenüber ist nicht nur Feind, ist auch Mensch, wenngleich Schutz vor Gewalt durchaus den Griff zur Waffe bedeuten kann.

Der Zivilschutz in Nordhessen liegt in der Verantwortung von Regierungspräsident Mark Weinmeister. Seine primären Aufgaben bestehen in der Wahrung der staatlichen Ordnung und der Aufrechterhaltung von Staats- und Regierungsfunktionen. Waren Krisenszenarien bislang eher auf naturbedingte Katastrophen ausgelegt, rüstet man sich nun auch für Aufgaben im Verteidigungsfall. Nordhessen ist ein zentraler Drehpunkt, da gilt es für Truppenbewegungen die Unterkunft, Verpflegung und Treibstoffversorgung zu regeln. Hierauf muss die Bevölkerung vorbereitet werden, auch darauf, dass nach Cyberangriffen nicht alles wie gewohnt verfügbar ist und funktioniert.

Nordhessen als NATO-Drehscheibe

Eine offene Publikumsdiskussion zeigte auf, dass die Bundeswehr ihren Verpflichtungen nicht nachkommen kann. Die Aussetzung der Wehrpflicht muss aufgehoben, Nordhessen als NATO-Drehscheibe genutzt werden. Selbst im Falle eines Friedens mit Russland wären Bedrohungen und Veränderungen nicht weg, die Aufgaben nicht beendet. Demokratie muss stetig nach innen und außen verteidigt, Wehr- und Überlebensfähigkeit konsequent weiterentwickelt werden.

Abschließend zog Kai Georg Bachmann, Geschäftsführer der Regionalmanagement Nordhessen GmbH, Bilanz: Der Abend zeigte, in Nordhessen kommen die Themen zusammen, und Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit, auch wenn dies eine unbequeme Wahrheit darstellt. Für die Region ergeben sich daraus jedoch Chancen. Beispielsweise die Ertüchtigung und der Ausbau von Infrastruktur, Wachstum und Beschäftigung, Nutzung nordhessischer Exzellenzen bei Wirtschaft und Wissenschaft sowie eine verstärkte Strahlkraft von Qualität und Attraktivität des Standorts.

 

Kontakt

Markus Exner
Geschäftsführer Pro Nordhessen e.V.
+49 561 97062-207
markus.exner@regionnordhessen.de

(v.l.) Markus Exner, Kai Georg Bachmann, Olaf Kieser, Mark Weinmeister, Prof. Dr. Beate Hofmann, Michael Roth, Dr. Vark Helfritz, Jürgen Fischer, Prof. Dr. Frank Lehmann. Foto: Andreas Berthel

Gastredner beim Herbstevent von Pro Nordhessen e.V.: Jürgen Fischer. Foto: Andreas Berthel